Ausstellung: Galerie Oberösterreichischer Kunstverein Linz, 2015
Heimliche Ordnung – Verborgene Struktur
„There is no such thing as an empty space or an empty time. There is always something to see, something to hear. In fact, try as we may to make a silence, we cannot“
John Cage, Silence: Lectures and Writings 1961
Am 29. August 1952 wurde in New York eine neue Komposition uraufgeführt. Der amerikanische Pianist David Tudor setzte sich an den Flügel, schloss den Klavierdeckel, harrte exakt 4 Minuten und 33 Sekunden reglos an seinem Instrument aus und öffnete den Deckel wieder. Die Zuhörer reagierten empört oder zumindest irritiert. Der Urheber des Stücks, John Cage, hatte etwas geschaffen, was es bisher noch nicht gegeben hatte: komponierte Stille als künstlerischer Akt.
Die Partitur von 4’33’’besteht aus einen weißen Blatt Papier, auf dem dreimal das Wort tacetgeschrieben steht. Cage hat sein Stück in drei Sätze gegliedert, von denen der erste bei der Uraufführung 33 Sekunden, der zweite zwei Minuten und 40 Sekunden und der letzte eine Minute und 20 Sekunden dauerte.
Diese Partitur nimmt die Schweizer Künstlerin Heidi Hahn als Ausgangspunkt für Ihr Werk Hommage à John Cagevon 2014. Sie ist nicht die erste, die sich der Herausforderung, Musik in optisch wahrnehmbare Werke zu übersetzten, stellt. Die Thematik faszinierte viele vor ihr, unter ihnen Piet Mondrian, Wassily Kandinsky oder Paul Klee. Gerade Cages Stück 4’33’’steht als stumme Botschaft für eine Zeit, in der der Kunstbegriff unbedingt erweitert werden sollte, auch Marcel Duchamps Readymades und die weißen Leinwände von Robert Rauschenberg entsprechen dieser Entwicklung.
Heidi Hahn greift in ihren Arbeiten manche dieser Ansätze auf und entwickelt aus ihnen völlig neue Herangehensweisen. Vom Textilen her kommend – sie absolvierte die Textilklasse von Prof. Grete Soulek an der Universität für angewandte Kunst in Wien – stehen für sie Struktur und Rhythmus im Vordergrund. Noten und Notenzeilen entsprechen dabei, vereinfacht formuliert, Kette und Schuss, wobei sich wie bei Damaststoffen kett- und schusssichtige Partien abwechseln können.
Dieser Vorliebe für Ordnung, Muster und Verhältnismäßigkeiten kommt das Konzept der „Seriellen Musik“ entgegen, deren wohl bekanntester Vertreter Karlheinz Stockhausen war. In ihrer Hommage à Stockhausen von 2015 bezieht sich Heidi Hahn auf den Versuch, alle musikalischen Eigenschaften in Zahlen- oder Proportionsreihen zu übersetzten.
Noch klarer tritt die mathematisch motivierte Übersetzung von Klängen in komplexe geometrische Formen und klare Farbabstufungen bei den Arbeiten 3-stimmiger Andachtsjodler(2014) oder sag mir, wo die Blumen sind…!(2015) zutage. Tonhöhen und Notenlängen entsprechen in der graphischen Umsetzung jeweils Größe und Farbton der Rechtecke, die beim Andachtsjodler als 3 Stimmen in Weiß, Schwarz und verschiedenen Grauwerten sichtbar werden.
Die optische Interpretation des 1955 von Pete Seeger geschriebenen Antikriegsliedes Where have all the Flowers gone,dessen deutsche Variante am eindrücklichsten von Marlene Dietrich interpretiert wurde, gestaltet Heidi Hahn komplexer: Die quasi lineare Partitur wird in einer quadratischen Spirale von außen nach innen aufgerollt, unter die blumenleeren grauen, schwarzen und weißen Rechtecke mischen sich blaue, rote und grüne Pausen. (rot: eine achtel, grün: eine viertel, blau: eine ganze Pause).
Eine weitere Gruppe stellen im Werk der Künstlerin nahezu weiße Bilder dar, z.B. Die 5., I und II, Bruckners 5. Symphonie. Die sehr komplexe Aufgabe, das monumentale Werk des Komponisten in die Fläche zu bringen, löst die Künstlerin so, dass sie der Betrachterin/ dem Betrachter zuerst einmal den Zugang erleichtert, indem sie die tatsächlichen Noten auf den rechten Rand der Leinwand druckt. Die kurzen Graphit-Striche orientieren sich an den Noten auf der Seite – die langen Striche entsprechen dem Rhythmus der Künstlerin. Als Weiterentwicklung dieser Technik hin zum Minimalistischen lässt Heidi Hahn in weiteren Werken die Graphitstriche weg und erzielt eine Struktur nur durch die Abdeckung einzelner Partien, wodurch Farbgrate in Weiß entstehen.
Mit Mozarts Zauberflöte setzt sich Heidi Hahn in den beiden Arbeiten …in diesen heiligen Hallen und Der Hölle Rache(2012)auseinander. Der inhaltlichen Gegensätzlichkeit der rachefreien Hallen Sarastros und der Hölle der Königin der Nacht entsprechen auf den gleichwertig weiß scheinenden Bildern die zarten Abgrenzungen der Noten: blaue, senkrechte Striche bei den heiligen Hallen, waagrechte, rote beim Rachebild. Erst auf den zweiten Blick erkennbar ist die subtile kleine Unstimmigkeit zwischen senkrechten Abgrenzungen im scheinbar friedlichen Bild der heiligen Hallen, die ja durchaus etwas radikal Unterbrechendes haben, und den waagrechten Abgrenzungen im Rachebild, die für Austausch und Kommunikation auf gleicher Ebene stehen könnten. Das erklärt die Künstlerin selbst so:
„Man ist geneigt, Sarastro mit seinem sonoren Bass als Sympathieträger zu sehen, was dazu führt, dass man sein Handeln nicht hinterfragt. Hingegen die Königin der Nacht mit dem hohen Sopran und den Rachegelüsten zerrt an den Nerven. Nur, warum kocht die Rache: Sarastro hat ihre Tochter entführt. Dass die Königin der Nacht außer sich ist, scheint mir verständlich.
Hinter die Dinge zu blicken kann oft neue Sichten, heimliche Ordnungen, verborgene Strukturen aufzeigen und Schönheit hervorbringen.“
Dr. Katharina Seidl
Kunsthistorikerin
Kuratorin Schloss Ambras, Innsbruck
Ausstellung Galerie Wengihof Zürich, 2004
Heidi Hahn hat eine angewandte Kunstausbildung hinter sich. Das kreative Spiel mit Formen, Farben und Raum ist ihr Metier. Ihre Bilder sind streng geometrisch geordnet, geschaffen ohne emotionalen Input. Zumindest scheint es so.
Doch bei näherer Betrachtung zeigen die Bilder mehr als nur Strenge und Ordnung. Sie strahlen Einfachheit, Klarheit, Harmonie und Transzendenz aus, vermitteln ein erlösendes Raumgefühl.
Die Bilder spiegeln die Unverwechselbarkeit des Einfachen und Abstrakten. Sie sind konkret in dem Sinne, dass sie nichts anderes bedeuten als das was sie sind. Doch sie bleiben nicht im Ungefähren und Unverbindlichen haften. Ein gestalterischer Rhythmus durchwirkt die Arbeiten. Und so spüren wir in den Bildern viel Geahntes und Unsichtbares
Ursula Baur, 17.03.2004